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Familien mit nur einem Kind sind heutzutage längst keine Seltenheit mehr, sondern gehören zu einem gängigen Familienbild in unserer Gesellschaft. Im Unterschied zu Familien mit mehreren Kindern, kommen Einzelkinder dabei erst später mit anderen Kindern in Kontakt und haben auch keine so enge Beziehung zu diesen wie die zwischen Geschwistern. Mehr zur Beziehung zwischen Geschwistern können sie hier erfahren. Wie ist die Entwicklung von Einzelkindern? Wie unterscheidet sich diese von der von Geschwisterkindern?

Vorurteile

Die Vorurteile über die Entwicklung von Einzelkindern und dem vermeintlich negativen Effekt, den das Aufwachsen ohne Geschwister mit sich bringe, sind noch immer weit verbreitet. Einzelkinder seien verwöhnt, nicht in der Lage zu teilen, egoistisch, könnten nicht mit anderen Kindern umgehen, seien sozial weniger gut entwickelt bzw. angepasst, seien einsam, usw. Die Liste der Vorurteile ist lang. Aber stimmt das alles wirklich? Ist die Entwicklung von Einzelkindern generell „schlechter“ als die von Geschwisterkindern?

So einfach ist es nicht. Genau wie Geschwisterkinder sind auch Einzelkinder individuell, weshalb generelle und allgemeingültige Aussagen nicht getroffen werden können. Ebenso wie sicher einige Einzelkinder die oben genannten Eigenschaften besitzen, gibt es auch Geschwisterkinder, auf die diese passen. Es ist also nicht möglich Eigenschaften zu finden, die für alle Einzelkinder zutreffen, ebenso wie es keine allgemeingültige Entwicklung gibt. So berichten einige Einzelkinder darüber, sich Geschwister gewünscht zu haben, während andere diese nicht vermissten. Gleiches gilt für einige Geschwisterkinder, die Einzelkinder beneidet haben.

Untersuchungsergebnisse

Die Forschung rund um das Thema Entwicklung von Einzelkindern ist noch relativ neu. Die Ergebnisse verschiedener Studien zum Thema lassen jedoch darauf schließen, dass die Entwicklung von Einzelkindern keinesfalls schlechter ist als die von Geschwisterkindern. Alles in allem seien Einzelkinder und deren Entwicklung nicht viel anders als Kinder mit Geschwistern und dessen Entwicklung. In einigen Studien zeigt sich sogar ein Vorteil von Einzelkindern gegenüber Geschwisterkindern. So seien sie selbstbewusster, würden bessere Leistungen in Schule und der weiteren akademischen Laufbahn zeigen, was zu häufigeren Führungspositionen führe und würden auch bei Intelligenztests bessere Ergebnisse erzielen. Auch im Punkt der sozialen Entwicklung haben sich bei den Einzelkindern keine Nachteile gezeigt, sondern auch hier wurde eine leichte Überlegenheit gegenüber Geschwisterkindern festgestellt.

Diese Ergebnisse bedeuten nicht, dass Einzelkinder „besser“ oder „erfolgreicher“ oder „glücklicher“ sind als Geschwisterkinder. Sie legen lediglich nahe, dass sich Einzel- und Geschwisterkinder im Wesentlichen nicht voneinander unterscheiden und dass andere Faktoren eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie die Entwicklung der Kinder verläuft. So scheint sich die Anzahl der Geschwister allein nur geringfügig auf die kindliche Entwicklung auszuwirken.

Lebensumstände

Die Entwicklung von Einzelkindern scheint damit nicht grundlegend anders zu sein als die von Kindern mit Geschwistern. Die Untersuchungen zeigten jedoch auch, dass das Verhältnis zu den Eltern bei den untersuchten Einzelkindern oft enger war als bei den Geschwisterkindern. Diese Eltern-Kind-Beziehung ist wiederrum wichtig für die kindliche Entwicklung, und zwar unabhängig davon, wie viele Geschwister eine Person besitzt. Wer ein vertrautes und enges Verhältnis zu den Eltern hat und sich ihnen anvertrauen kann, hat in der Regel günstigere Entwicklungschancen.

Auch das Umfeld und die generelle familiäre Struktur sind relevant für die Entwicklung von Kindern. Wirft man einen Blick in die Vergangenheit, erscheinen die noch immer vorherrschenden Vorurteile gegenüber Einzelkindern nicht mehr allzu weit hergeholt. Denn zu Zeiten des zweiten Weltkrieges und danach bestand fast jede Familie aus mehreren Kindern, Einzelkinder waren die Ausnahme. Dabei gab es vor allem in Familien mit schwierigen Verhältnissen und vielschichtigen Problemen Einzelkinder. Hierzu zählten unter anderem verwitwete Elternteile, uneheliche Kinder oder Familien mit einem kranken Elternteil. Durch die widrigen Verhältnisse, in denen die Kinder aufwuchsen, entwickelten sie unter Umständen tatsächlich die negativen Eigenschaften, die ihnen noch heute zugeschrieben werden bzw. sie wurden aufgrund der schlechteren sozialen Stellung der Familie ausgestoßen oder gemieden.

Heute sieht es hingegen anders aus. Der Großteil der Einzelkinder kommt aus intakten Familien mit beiden Elternteilen, auch wenn der Anteil der Einzelkinder unter Alleinerziehenden bzw. getrennt/geschieden Lebenden erhöht ist. Außerdem scheint die Rollenaufteilung der Eltern weniger herkömmlich und konventionell zu sein als in Familien mit mehreren Kindern. So gehen die Elternteile von Einzelkindern häufig früher wieder arbeiten, was unter anderem auch mit der leichteren Vereinbarkeit von Familie und Beruf mit nur einem Kind in Zusammenhang stehen kann. Außerdem sind besonders viele Akademiker/innen und Selbstständige unter den Eltern der Einzelkinder. Hinsichtlich dieses hohen Bildungsniveaus und dem oftmals günstigen finanziellen Status, überraschen die zum Teil überlegenen Forschungsergebnisse der Einzelkinder weniger. Denn diese Faktoren sind unter anderem viel relevanter als das Vorhandensein von Geschwistern für die Entwicklung von Kindern.

Weitergehend sind Einzelkinder häufiger in Großstädten anzutreffen und weniger häufig auf dem Land, was mit den zur Verfügung stehenden Unterstützungsmöglichkeiten zusammenhängen kann, aber auch mit den Werten und Idealvorstellungen der Umgebung.

Auch der Erziehungsstil und die Werte, die durch die Familie vermittelt werden, spielen eine zentrale Rolle bei der kindlichen Entwicklung. So kann die Tatsache ein Einzelkind zu sein dann zum Problem hinsichtlich der kindlichen Entwicklung werden, wenn die Eltern bspw. einen überbehütenden und kontrollierenden Erziehungsstil zeigen und zu „Helikopter-Eltern“ werden. In Einzelfällen kann das Einzelkind-Dasein also im Zusammenhang mit weiteren Risikofaktoren, wie einem negativen Erziehungsstil der Eltern, eine negative Auswirkung auf die Entwicklung nehmen. Ein solcher Erziehungsstil stellt allerdings im Allgemeinen einen Risikofaktor für die Entwicklung von Kindern dar und nicht nur für die Entwicklung von Einzelkindern.

Fazit

Es lässt sich also festhalten, dass die Entwicklung von Einzelkindern nicht viel anders verläuft als die von Geschwisterkindern. Auch besitzen Einzelkinder keine klar abgrenzbaren Eigenschaften, die sie von Geschwisterkindern unterscheiden. Wichtiger als die Anzahl der Kinder in der Familie ist die Erziehung, die Sozialisation und das generelle Umfeld der Kinder für deren Entwicklung. Ebenso wie Geschwisterkinder können auch Einzelkinder nicht zu einer einzigen Gruppe zusammengefasst werden, sondern jede Familie und somit auch jedes Kind ist individuell und dementsprechend auch so zu betrachten. Negative Auswirkungen scheint die alleinige Tatsache ein Einzelkind zu sein nicht auf die kindliche Entwicklung zu nehmen, wenn es in einem positiven Umfeld aufwächst, wobei gleiches ebenso für Geschwisterkinder gilt.

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Über den Autor J Bohlken